Wie hat sich dein Selbstbild seit deinen allerersten Tagen im Poker verändert?
Das ist echt eine spannende Frage. Am Anfang war ich einfach unglaublich jung und ehrlich gesagt ziemlich unzufrieden mit meinem Platz im Leben. Nach dem Abi wusste ich absolut nicht, wo es hingehen sollte. Ich bin an die Uni gegangen, aber im Nachhinein war das nicht mein Weg. Ich habe planlos Entscheidungen getroffen und hatte null Plan, was ich wirklich wollte.
Dann kam Poker – und plötzlich hatte ich etwas, in das ich meine ganze Leidenschaft und meinen Ehrgeiz stecken konnte. Über Poker habe ich gelernt, wie viel man eigentlich über sich selbst herausfindet. Mit den Jahren habe ich mich förmlich in das Spiel und alles, was daneben passiert, verliebt. Damals hatte ich die typische „junger Kerl wird erfolgreich“-Phase: Man hat das Gefühl, einem gehört die Welt. Du denkst, du kannst alles – aber Poker hat mich reifen lassen.
Ich musste mir viele wichtige Skills aneignen und herausfinden, was Leidenschaft und Motivation für mich bedeuten. Und dann kamen plötzlich völlig neue Lektionen dazu. Rückblickend hatte ich zwei verschiedene Erwachsen-Werden-Phasen: Zuerst die Zeit, in der auf dem Pokerweg plötzlich nicht mehr alles funktioniert hat wie früher – und ich wieder ratlos war. Aber das war wichtig, um an mir zu arbeiten. Und dann kam Streaming dazu. Das hat alles auf ein neues Level gehoben. Ich hatte das Gefühl, ich kann Poker noch einmal komplett neu erleben – aber diesmal auf meine Weise.
Ab wann hattest du das Gefühl, dass Streaming für dich mehr bedeutet als das reine Spielen?
Ganz ehrlich? Im Prinzip ziemlich direkt von Anfang an. Ich habe damals PLO Cashgames auf PokerStars gespielt, aber da war nie wirklich Leidenschaft dabei. Ich war Supernova Elite und habe quasi nur für die Punkte gespielt. Mein Ziel war eigentlich immer: der Beste sein, die höchsten Stakes erobern, den absoluten Grind. Aber im PLO habe ich gefühlt einfach nur die Stunden runtergerissen – das war komplett unbefriedigend.
Als das Supernova Elite-Programm vorbei war, habe ich beschlossen, das mit dem Streaming einfach mal auszuprobieren. In meinem allerersten Stream spielte ich 2.000$ PLO und dachte: Das wird die Leute bestimmt interessieren. Aber dann kamen direkt Nachrichten, ob ich nicht lieber das Big 22 anzeigen kann, denn die Zuschauer wollten lieber ein Turnier sehen. Ich war ehrlich überrascht – die wollen tatsächlich lieber ein 22$-Turnier als eine 2.000$ Cashgame-Action? Und ja: Das war genau so.
Da habe ich verstanden: Die Leute feiern die Reise – Turniere haben einen Anfang und ein Ende, Cashgames sind endlos. Mir wurde direkt klar: Das Publikum will Turniere sehen. Eigentlich war meine Leidenschaft für Turniere nicht so groß, aber ab da war klar: Für den Stream ziehe ich das jetzt durch. Die ersten vier, fünf Jahre habe ich ständig überlegt: Was ist jetzt das Beste, was ich für meinen Stream tun kann? Was fehlt? Was könnte schiefgehen? Poker war fast schon Nebensache, mein Ziel war Entertainment. Natürlich habe ich weiter gespielt, Tipps von Freunden bekommen und so weiter.
Ein Beispiel aus der Anfangszeit: Alle veranstalteten diese typischen Bankroll-Challenges, immer von 0 auf 1.000, dann auf 10.000. Ich fand das stinklangweilig. Deshalb habe ich gesagt: „Jeden Freitag zeige ich, wie ich 1.000€ sauber auf null schieße.“ Ich habe den Freitag zum Entertainment-Tag gemacht – mit gutem Drink, Spaß und Show. Für mich war der Stream immer Content zum Mitfiebern.
Brennt bei dir immer noch das Feuer beim Streamen oder gibt es Tage, an denen es sich nach Routine anfühlt?
Wenn ich live bin, fühlt es sich ein bisschen an wie ein Pokerabend mit Freunden. 12 Jahre habe ich allein vorm Rechner gespielt – jetzt streame ich seit neun Jahren und es ist ein ganz anderes Gefühl. Klar, manchmal habe ich überhaupt keinen Bock zu spielen, aber mega Lust zu streamen. Oder umgekehrt: Ich will zocken, aber heute nicht live sein.
Wenn es sich wie Routine anfühlt, mache ich erstmal einen Cut und frage mich: Was brauche ich? Ein neues Game? Eine Challenge? Wenn ich zwei Wochen lang merke, dass ich auf Autopilot laufen würde, bin ich ehrlich: Dann lieber Pause – ich will mich nicht verstellen. Ich weiß einfach, dass kein Content gut wird, wenn ich nicht mit Spaß bei der Sache bin.
Spürst du einen Unterschied zwischen deiner öffentlichen und privaten Seite?
Ich habe mir von Anfang an gesagt: Ich bleibe einfach ich selbst. Wenn's den Leuten gefällt – genial. Und wenn nicht, dann passt's eben nicht. Ich schaue Streams seit 2009 – damals Starcraft, Dota oder andere e-Sports. Am meisten mochte ich Leute, die einfach echt waren – mal gute Laune, mal schlechte. Ich kann Streamer nicht ab, die zwanghaft immer einen auf happy machen.
Immer on cam zu sein fühlt sich manchmal an wie Big Brother: Kratz dir kurz am Nasenflügel und direkt schreiben sie, dass du krank aussiehst. Iss was – und die Kommentare, wie schräg du isst. Wenn du eine Rolle spielst, bist du sowieso viel schneller ausgelaugt.
Welche persönlichen Routinen funktionieren für dich am besten – und woran arbeitest du immer noch?
Ich versuche mittlerweile, gesünder und fitter zu leben, meinen Schlaf mehr zu priorisieren. Gerade in den letzten vier, fünf Jahren hat sich da wirklich was getan – so gut das eben mit zwei kleinen Kindern geht. Mein Sohn ist viereinhalb, meine Tochter zwei. Ausgeschlafen bin ich nicht immer.
Mit Kindern wurde mir richtig bewusst: Das Handy holt dich permanent zurück in die Arbeit. Da kann ich immer noch einen Termin machen, Pläne checken, irgendwas organisieren. Aber wenn ich Zeit mit den Kindern habe, will ich wirklich präsent sein. Heute weiß ich viel genauer, was ich vom Job will und wieviel Energie ich reingeben kann. Früher konnte ich mich völlig in eine Sache reinsteigern – aber besseres Gleichgewicht hätte mich wahrscheinlich zu einem noch besseren Pokerspieler gemacht. Erfolg hatte ich zwar, aber Konstanz hatte mir gefehlt.
Ich versuche auch immer wieder Barrieren zu durchbrechen, wenn etwas Neues kommt – ein Tool, ein Programm. Ich nutze zum Beispiel Whoop, um Schlaf und Regeneration zu tracken. Anfangs hatte ich Angst: Was, wenn die Werte schlecht sind, obwohl ich mich gut fühle – zieht mich das runter? Aber ehrlich: Es ist super. Sehe ich, dass mein Schlaf Mist war, plane ich ein leichtes Training ein.
Früher habe ich Powernaps gehasst – totale Zeitverschwendung, dachte ich. Aber jetzt: Wenn ich müde bin oder ein paar Nächte wegen der Kids schlecht geschlafen habe, lege ich mich hin. Ich will gute Stats, mich fit fühlen. Gesund leben darf für mich ruhig 'gamifiziert' sein: Sport, Schlaf, Ernährungsziele. Krafttraining ist für mich das Beste – fürs Körpergefühl, den Stoffwechsel, die Haltung und das simple Gefühl: Ich bin stark! Und: Es pusht die Laune mit den Endorphinen.
Ich liebe auch entspannte Pausen – kalte Duschen, Meditation, einfach mal runterkommen. Das hilft mir total, den Tag zu strukturieren. Und was ich gelernt habe: 18 Stunden Vollgas zu geben ist vielleicht für zwei Wochen cool – aber langfristig killt dich das. Früher dachte ich: Nur harte Arbeit bringt dich weiter. Heute weiß ich: Ein guter Ausgleich ist Teil des Jobs. Nur so kannst du langfristig wirklich was reißen.
Wie hat sich dein Leben mit Familie und Kindern geändert? Funktioniert der Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben noch?
Ich streame definitiv viel weniger als früher. Vorher war ich fünf- bis sechsmal die Woche jeweils zehn Stunden on. Heute geht das nicht mehr. Ich spiele jetzt tagsüber – würde ich nachts grinden, würde ich meine Kids kaum noch sehen.
Früher habe ich mich in die Arbeit gestürzt, war dann komplett K.O. und habe meine Freizeit als Erholung auf dem Sofa verbracht. Jetzt will ich freie Zeit mit meinen Kindern nicht komplett ausgelaugt verbringen, sondern rausgehen, spielen, wirklich da sein. Nach einem Event lasse ich mir deshalb immer einen Tag Pause, räume im Kopf auf, gehe raus spazieren, mache erstmal nichts. Dann komme ich nach Hause, habe Bock was zu unternehmen und sage: „Kommt, wir machen was Cooles!“ Nicht nur platt aufs Sofa und gestresst sein.
Was hat dich am meisten überrascht, als du Vater geworden bist?
Vielleicht klingt's komisch, aber das war für mich eigentlich gar keine so drastische Umstellung im Verhalten. Vor fünf Jahren ist mein Vater nach längerer Parkinson-Erkrankung gestorben. In dieser Zeit habe ich realisiert, wie wichtig es ist, meinen Körper und meinen Kopf zu schätzen und zu schützen.
Als die Kinder kamen, hatte ich deshalb nicht das Gefühl, dass sich plötzlich alles umgedreht hat. Ich würde eher sagen: Alles, was ich fühle, hat mehr Tiefe bekommen. Die Gefühle sind intensiver. Aber es war nicht dieser Moment: „Jetzt muss ich erwachsen sein.“ Das kam schon früher – als ich mit Streaming anfing und mein Vater gestorben ist. Da habe ich angefangen, mein Leben wirklich ernst zu nehmen. Als die Kinder geboren wurden, hatte ich mir schon einen stabilen Platz geschaffen.
Had a pretty beautiful day. It's exactly 1 year since my dad passed away. Spent the day with close families looking at old tapes and telling stories.
— Lex Veldhuis (@LexVeldhuis) August 28, 2021
Feels good to follow it up with something he really admired; hard work: https://t.co/NFvUBRr9TB pic.twitter.com/qpNJOHruT8
Was hat dir Poker fürs Leben außerhalb des Spiels gebracht?
Vor allem: Es gibt immer das Risiko, dass Dinge schiefgehen – und wie man damit umgeht. Wenn bei Reisen plötzlich das Hotel storniert wird oder der Flieger ausfällt: Früher hat mich das gestresst. Jetzt weiß ich, es gehört einfach dazu.
Ein Beispiel: Ein Kumpel wollte mal ein eigenes Business starten. Er meinte: „Ich nehme einen Kredit auf, das läuft bestimmt.“ Ich fragte zurück: „Aber was wenn's die ersten zwölf Monate nicht läuft?“ Seine Antwort: „Das MUSS klappen.“ Pokerspieler ticken anders – du kalkulierst immer mit ein, dass was schiefgehen kann. Und wenn es passiert, suchst du nach Lösungen. Klar, man kann gefrustet oder niedergeschlagen sein, aber irgendwann akzeptierst du: „So ist es halt.“
Bist du gut darin geworden, mit Rückschlägen umzugehen? Wie akzeptiert man, dass Poker dauernd aus Downswings und verlorenen Händen besteht?
Definitiv eine der größten Lebenslektionen, die Poker mir beigebracht hat. Im echten Leben kommen viele Leute nicht klar damit, zu scheitern. Beim Poker ist es Alltag. Ich glaube wirklich: Pokerspieler haben eine andere Einstellung – du weißt einfach, manchmal verlierst du, obwohl du alles richtig gemacht hast. Das ist hart, aber du darfst dich davon nicht runterziehen lassen.
Planst du in Zukunft mehr Live-Events wie Lex Live? Wie sieht deine Vision aus?
Ich würde mir wünschen, dass Lex Live weiter wächst, dass der Pokerbereich größer wird und immer mehr Leute aus der Community dabei sind. Am liebsten jedes Jahr. Ich habe aber gar nicht den Drang, riesige, unpersönliche Poker-Events zu veranstalten. Zweimal im Jahr Lex Live wäre vielleicht ein Tick zu viel, aber mit einer guten Struktur – vielleicht in Zukunft.
Das Wichtigste für mich ist, dass die Atmosphäre bleibt: familiär, freundschaftlich, dass sich wirklich alle wohlfühlen. Die Energie und das Gefühl, dass es UNSER Event ist – das muss bleiben. Im Endeffekt ist Lex Live die logische Verlängerung dessen, was ich online mache. Für mich geht es nicht ums Event-Organisieren an sich, sondern um die Community – und den gemeinsamen Poker-Flow.
Stell dir vor, du hättest unbegrenzt Zeit und Budget – was würdest du aufbauen wollen?
Was für eine Frage... Mit endlosem Zeit- und Geldbudget würde ich auf jeden Fall etwas für die Community starten. Vielleicht ein großes Community Center an meinem Wohnort: einen Treffpunkt mit viel Platz für Begegnungen, Angebote für Kinder, Projekte, bei denen man einfach gemeinsam etwas bewegen kann.
Und ein weiteres Herzensthema: Einsamkeit. Es gibt zwar viele Projekte für Kinder oder Ältere, die niemanden mehr haben – aber das Thema liegt mir total am Herzen. Da würde ich gerne helfen und Projekte pushen, die Menschen zusammenbringen.
Angenommen, du könntest mit deinem 18-jährigen Ich reden – was würdest du deinem jüngeren Selbst sagen?
Ich würde ihm sagen: „Chill – du musst dich nicht immer kaputtmachen, nur um bloß nichts zu verpassen.“ Wenn du die Dinge richtig anpackst, kommen die Erlebnisse sowieso viel öfter, als du denkst. Und: Nimm dich selbst ernster. Nimm dir ab und zu Zeit zu überlegen, ob das, was du tust, wirklich das Beste für dich ist.
Aber mal ehrlich: Es ist wie mit den Ratschlägen der Eltern. Selbst wenn ich es mir damals gesagt hätte, hätte ich garantiert nicht auf mich gehört. Mein jüngeres Ich hätte wohl nur gemeint: „Komm schon, red nicht, Alter.“ Alle Fehler, verrückten Entscheidungen, die guten und miesen Momente – die gehören zu meinem Weg dazu. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, wäre es naiv zu behaupten, ich hätte alles anders gemacht.
Wie gefällt es dir in Bratislava und wie ist das ganze Setting hier?
Absolut super! Ich habe die Community nach ihrer Meinung gefragt – Hotel, Banco Casino: Alle vergeben 9 von 10 oder sogar 9,5. Wir hatten jetzt schon vier verschiedene Locations für Lex Live und sind immer noch auf der Suche. Aber ich glaube, die Chancen stehen gut, dass wir wiederkommen. Bratislava ist eine wunderschöne Stadt: relaxed, autofrei in der Altstadt, coole Plätze, tolle Architektur. Essen top, Menschen freundlich.
Ich wollte immer schon mal nach Zentral- und Osteuropa und eher weniger bekannte Städte erkunden. Die Mehrheit geht nach Madrid, London, Barcelona, Paris oder Rom... mich haben eher Sofia, Ljubljana, Bratislava, Tallinn und Riga interessiert. Ich bin ehrlich happy, dass ich das jetzt auch mit der Community teilen kann – und jetzt, wo ich hier bin, will ich gar nicht mehr weg! Ganz ehrlich: Ich liebe es einfach.
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