Herzkönig – Der selbstmörderische Monarch der Spielkarten

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Zwei Könige, echte Vorbilder und Wurzeln der Spielkarten

Die Geschichte der Spielkarten beginnt weit entfernt von europäischen Poker-Kreisen – sie wurzelt im arabischen Raum. Laut Aufzeichnungen des italienischen Chronisten Niccolo Caveluzza tauchten die ersten Karten um 1375 in Europa auf, nachdem ein neues Kartenspiel über Spanien aus muslimischen Ländern eingeführt wurde. Die ersten Spielkarten kamen noch ohne Gesichter aus – der Islam verbot es, Menschen abzubilden. Doch schon bald nahm das Design eine neue Richtung.

Das 52-Karten-Deck, wie wir es heute kennen, wurde in Frankreich zur Zeit von Karl VI., dem sogenannten „Wahnsinnigen König“, entwickelt. Am Hof soll der Künstler Jacquesmin Gringonneur als Erster die Bildkarten mit historischen Persönlichkeiten versehen haben – darunter Könige, Damen und Buben. Die französischen Farben – Herz, Pik, Karo und Kreuz – symbolisierten die damaligen Gesellschaftsschichten: Klerus, Adel, Kaufleute und Bauern. In diesem System stand der Herzkönig für die geistliche Elite und höchste religiöse Autorität.

Karl der Große – Das Urbild des Herzkönigs

Der erste und wohl berühmteste Prototyp des Herzkönigs ist niemand Geringeres als Karl der Große (Charlemagne). Der fränkische Herrscher einte ganz West- und Mitteleuropa und gilt als Begründer des Heiligen Römischen Reichs. In vielen europäischen Sprachen steht sein Name bis heute synonym für "König". Fast ein halbes Jahrhundert lang regierte er, hatte fünf Frauen und mindestens zwanzig Nachkommen – eine echte Legende schon zu Lebzeiten.

Später tauchten in verschiedenen Kartensätzen auch andere Persönlichkeiten als Herzkönig auf: Karl I. von England, Kaiser Konstantin der Große, der Schriftsteller Victor Hugo oder General Georges Boulanger. Selbst der Heilige Wladimir oder Zar Nikolaus II. sind in einzelnen Kulturen als Vorbild zu finden.

Vom "Suicide King" zum Poker-Märchen

Sein wohl kuriosester Beiname: "Suicide King" – der selbstmörderische König. Was steckt hinter der Szene, in der sich der Herzkönig scheinbar das Schwert in den Kopf stößt? Tatsächlich war das ursprünglich gar nicht so gemeint.

Zunächst hielt der Herzkönig keine Klinge, sondern eine Kriegsaxt – ein Motiv, das im Spätmittelalter typisch war. Erst mit dem Aufstieg des französischen Rouen-Designs im 15. Jahrhundert wurde daraus ein Schwert. Der Grund war fast schon banal: Damalige Drucktechniken erlaubten keine feinen Details, und ein Schwert ließ sich wesentlich einfacher und klarer darstellen als eine Axt.

Im Laufe der Jahrhunderte und zahlloser Nachdrucke ging das ursprüngliche Bild jedoch verloren. Die Perspektive wurde überzeichnet, Details gingen verloren – bis am Ende die optische Täuschung perfekt war: Der König scheint sich das Schwert in die Stirn zu rammen. Dieser Fehler wurde bald legendär und der Spitzname „Suicide King“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Poker-Community weltweit.

Herz, Symbolik und das Spiel mit der Macht

Herz steht bekanntermaßen für Liebe, Emotion und Spiritualität. In der religiösen Symbolik wird der Herzkönig daher gerne als geistlicher Anführer gedeutet – mal mächtig, mal tragisch. Manche Interpretationen sprechen sogar von Selbstaufopferung, die an das Ideal eines christlichen Herrschers erinnert: Der König, der sich für sein Volk opfert.

Nach der Französischen Revolution verschob sich die Kartenhierarchie grundlegend – das Ass löste den König als höchste Karte ab. Symbolisch bedeutete das: Das Volk stürzt die Monarchie und übernimmt die Macht. Auch darin steckt eine gewisse Ironie, die zum Motiv des "Suicide King" passt: Der Sturz eines Monarchen, der seine absolute Herrschaft verliert.

Das bewegte Leben einer Spielkarte

Der Herzkönig ist nicht nur grafisch, sondern auch historisch ein echtes Unikat. Je nach Epoche spielte er eine andere Rolle: Mal wurde er als Herrscher, mal als Dichter oder als Feldherr dargestellt. Im Zweiten Weltkrieg tauchte er in sowjetischen Propaganda-Spielkartensets sogar als Karikatur auf, in denen Nazi-Anführer verspottet wurden.

Während die anderen Bildkarten über die Jahrhunderte weitgehend gleich geblieben sind, bleibt der Herzkönig immer ein Unikum. Er ist eine Karte mit Doppelgesicht, die die Geschichte spiegelt, Erwartungen bricht und seit jeher sowohl Poker-Profis als auch Historiker fasziniert.

Zwei linke Hände und Hollywood-Glanz

Eine absolute Kuriosität erlebte der Herzkönig im 20. Jahrhundert auch auf der großen Leinwand. Im Western-Klassiker "Für ein paar Dollar mehr" (1965) von Clint Eastwood entdecken aufmerksame Zuschauer ein Fournier-Deck, bei dem der Herzkönig gleich zwei linke Hände hat – eine hält das Schwert, die andere scheinbar den Mantel. Ein seltener Druckfehler, der nur in einer bestimmten Edition vorkam und inzwischen längst Kultstatus erreicht hat.

Der Herzkönig ist eben viel mehr als nur eine Karte im Deck. Er ist ein Spiegel der Geschichte, religiöses Symbol, grafisches Phantom und Poker-Legende – und vor allem der wohl rätselhafteste Charakter auf dem gesamten Tisch. Sein Beiname "Suicide King" steht sinnbildlich dafür, dass Zufall, Kunst und Zeitgeschichte gemeinsam einen echten Mythos erschaffen haben. Deshalb bleibt der Herzkönig auch heute noch die ikonischste Karte, der kein Pokerspieler widerstehen kann.

 

Quellen: Sora, Wikipedia, Reddit, The Worlds of Playing Cards